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die Glorie der Morgensonne tauchte. Ein heller, schöner Herbsttag, an dem des nahenden Winters erste Botschaft im leicht zerfließenden Reif von der warmen Erde lächelnd empfangen wird, und diese, wie eine zärtliche Mutter, in den Kindern, die sie gebar, die Sorgen des nahenden Alters vergißt, ist dem für Naturschönheiten empfänglichen Herzen willkommener, als ein heißer Sommertag, wo die Glut der Sonne mit leidenchaftlicher Gewalt die Erde noch umfaßt, und Stürme, von Hagel und Ungewitter begleitet, nicht wie die des Spätherbstes, nur polternd, sondern oft schädlicher vorüberziehn.

Beym Spaziergange um die Kirche fand ich ein altes wahnsinniges, mit vielen Lumpen behangenes Weib, das eben von ihrem Schlummer unter freyem Himmel an der Kirchenwand wach geworden zu seyn schien, und von der Kälte der Herbstnacht halb erstarrt, mit bebenden Lippen unverständliche und abgebrochene Worte sprach. Es wollte durchaus kein Almosen annehmen, und den — wahrscheinlich selbst gewählten —

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Ulrich von Schlippenbach: Malerische Wanderungen durch Kurland. C. J. G. Hartmann, Riga und Leipzig 1809, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:VonSchlippenbachMalerischeWanderungenDurchKurland.pdf/266&oldid=- (Version vom 14.2.2021)