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Troja nach Rom und von da auf die Hohenzollernsche Stammburg nach Schwaben gekommen seien[1].

Indeß solche Gefühle sind nicht allgemeingültig. Andere Länder erzeugen andere Sitten, andere Anschauungen und andere Gefühle. Unter den indischen Schlankaffen giebt es eine Art, den Hulman, welche nicht nur göttliche Verehrung genießt, sondern auch der Ehre gewürdigt wird, als wirkliche Stammart von Menschen zu gelten. Eine regierende Familie, deren Mitglieder den überlieferten Namen „geschwänzte Rana“ führen, behauptet von dem heiligen Affen abzustammen[2]. Die kanadischen Indianer gehen noch weiter. Sie betrachten die ganze lebendige Schöpfung als eine einzige große Gesellschaft, innerhalb deren der Mensch nur der Erste unter Gleichen ist. Zwischen ihm und den Thieren bis zur Kröte zurück bestehen innige Bande der Verwandtschaft. Wie er den Wolf als seinen Stammvater betrachtet, so nennt er den Bären seinen Bruder, den Fuchs seinen Vetter[3].

Wo die Thatsachen fehlen, da bleibt auch für die Gefühls-Wissenschaft ein Platz. Aber gewiß hat man kein Recht, die Descendenz-Theorie vom sittlichen Standpunkte aus zu verwerfen. Ist der Mensch die letzte der Umwandlungen, welche das Thierreich in seinen einzelnen Gliedern erfahren hat, so ist er auch die höchste und edelste derselben. Es war dann ein unendlicher Fortschritt, den die lebende Natur machte, als der erste Mensch aus einem Thiere hervorging, mochte dieß nun ein Affe oder ein anderes Thier, das zugleich Stammvater des Affen war, sein. Und nicht minder groß war der Fortschritt, den – von diesem Standpunkte der Betrachtung aus – der Mensch selbst machte, als er im Laufe von Jahrtausenden aus einem rohen, affenähnlichen Wilden sich zum Bürger eines wahren Culturstaates erhob. Ist die letztere Vorstellung aber zulässig, widerstreitet


  1. [40] A. F. Riedel, Geschichte des Preußischen Königshauses. Berlin, 1861. Bd. I. S. 14.
  2. [40] A. E. Brehm, Illustrirtes Thierleben. Hildburghausen, 1863. S. 42.
  3. [40] Kohl, Ueber die kanadischen Indianer. (Ausland, 1859. Nr. 3. S. 54.)
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Rudolf Virchow: Menschen- und Affenschädel. C. G. Lüderitz’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1870, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Virchow_-_Menschen-_und_Affensch%C3%A4del_-_37.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)