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Drittes Hauptstück.
Vom Vortrage.


 §. 1.  Es ist unstreitig ein Vorurtheil, als wenn die Stärcke eines Clavieristen in der blossen Geschwindigkeit bestünde. Man kan die fertigsten Finger, einfache und doppelte Triller haben, die Applicatur verstehen, vom Blatte treffen, es mögen so viele Schlüssel im Laufe des Stückes vorkommen als sie wollen, alles ohne viele Mühe aus dem Stegereif transponiren, Decimen, ja Duodecimen greifen, Läufer und Kreutzsprünge von allerley Arten machen können, und was dergleichen mehr ist; und man kan bey dem allen noch nicht ein deutlicher, ein gefälliger, ein rührender Clavieriste seyn. Die Erfahrung lehret es mehr als zu oft, wie die Treffer und geschwinden Spieler von Profeßion nichts weniger als diese Eigenschaften besitzen, wie sie zwar durch die Finger das Gesicht in Verwunderung setzen, der empfindlichen Seele eines Zuhörers aber gar nichts zu thun geben. Sie überraschen das Ohr, ohne es zu vergnügen, und betäuben den Verstand, ohne ihm genung zu thun. Ich spreche hiemit dem Spielen aus dem Stegereif nicht sein gebührendes Lob ab. Es ist rühmlich, eine Fertigkeit darinnen zu haben, und ich rathe es selbst einem jeden aufs beste an. Es darf aber ein blosser Treffer wohl nicht auf die wahrhaften Verdienste desjenigen Ansprüche machen, der mehr das Ohr als das Gesicht, und mehr das Hertz als das Ohr in eine sanfte Empfindung zu versetzen und dahin, wo er will, zu reisen vermögend ist. Es ist