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Dein Platz, er sollt’ an meiner Brust sein,
Hier wär’ erwacht dein Selbstbewußtsein;

15
Ich hätt’ dich aus dem Pflanzenthume

Erlöst, emporgeküßt, o Blume,
Empor zu mir, zum höchsten Leben –
Ich hätt’ dir eine Seel’ gegeben.

     Jetzt, wo gelöst die Räthsel sind,

20
Der Sand im Stundenglas verrinnt –

O weine nicht, es mußte sein –
Ich scheide, und du welkst allein;
Du welkst, bevor du noch geblüht,
Erlöschest, eh’ du noch geglüht;

25
Du stirbst, dich hat der Tod erfaßt,

Bevor du noch gelebet hast.

     Ich weiß es jetzt. Bei Gott! du bist es,
Die ich geliebt. Wie bitter ist es,
Wenn im Momente des Erkennens

30
Die Stunde schlägt des ew’gen Trennens!

Der Willkomm ist zu gleicher Zeit
Ein Lebewohl! Wir scheiden heut
Auf immerdar. Kein Wiedersehn
Giebt es für uns in Himmelshöhn.

35
Die Schönheit ist dem Staub verfallen,

Du wirst zerstieben, wirst verhallen.

Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Heine: Vermischte Schriften. Erster Band. Hoffmann und Campe, Hamburg 1854, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vermischte_Schriften_171.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)