5. Man darf ein Kind nie allein in der Stube lassen, sondern es muss sich ausser dem Kinde stets noch etwas Lebendiges, sei es auch nur eine Henne, in der Stube befinden. Hat man nämlich das Kind allein gelassen, so kommt der Böse und nimmt das Kind weg. An Stelle des Kindes legt er dann einen Holzklotz oder ein Thier, wie z. B. einen Hasen, in die Wiege.
6. Bei einem kleinen Kinde muss die ersten sechs Wochen hindurch stets Jemand wachen. Versäumt man das, so kommt ein altes Weib aus dem Walde und vertauscht dasselbe gegen einen Wechselbalg.
7. Wenn man genöthigt ist, ein Kind allein in einem Zimmer zu lassen, so muss man ihm eine Bibel oder ein Gesangbuch unter den Kopf legen. Hat man das gethan, so können es die Geister nicht gegen einen Wechselbalg eintauschen.
8. Wenn in dem Zimmer, in welchem ein Kind liegt, nicht bis zur Taufe ein Licht brennt, so kommt der Teufel später, wenn das Kind herangewachsen ist, und verführt es.
9. Wenn eine Wöchnerin ihr Kind in den ersten sechs Wochen taufen lässt, so darf sie während des Kirchganges nicht sprechen. Hat sie das doch gethan, so stirbt das Kind.
10. Wenn das Kind zur Taufe getragen wird, so darf die Mutter desselben während der betreffenden Zeit nichts essen. Thut sie es dennoch, so wird das Kind verschwenderisch.
11. Arbeitet eine Mutter in der Zeit, während welcher ihr Kind zur Taufe getragen wird, so wird das Kind fleissig, arbeitet sie aber nicht, so wird ihr Kind später ein Herumtreiber.
12. Wenn eine Wöchnerin vor der Taufe ihres Kindes auf die Strasse geht, so bleibt ihr Kind ein Heide.
13. Wenn ein Kind bei der Taufe niest, so wird es später sehr klug.
14. Wenn ein Kind bei der Taufe laut schreit, so lernt es später schön singen.
15. Wenn ein Kind getauft wird, so darf keiner von den Pathen den Taufstein verlassen, bevor nicht die ganze Taufhandlung vollendet ist. Geschieht dies dennoch, so wird das Kind ein Herumtreiber.
Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Veckenstedt_-_Wendische_Sagen,_M%C3%A4rchen_und_abergl%C3%A4ubische_Gebr%C3%A4uche.pdf/466&oldid=- (Version vom 17.10.2016)
