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„Deine Tochter ist krank geworden, gieb mir die andere zur Pflege mit.“ Die Mutter sprach: „Ja, meine Tochter kann mitgehen.“ Da setzte sich die Tochter zu dem Manne in den Wagen und fuhr mit nach dem Schlosse. Am andern Tage gab ihr der Mann die Schlüssel zu den zwölf Zimmern, verbot ihr aber gleichfalls, in das zwölfte Zimmer zu sehen; dann ging er fort. Indess auch sie war neugierig und guckte auch in das zwölfte Zimmer hinein: da sah sie ihre Schwester wie todt an der Erde liegen. Kurz darauf kam der Mann nach Hause. Da sie so still war, sagte er gleich: „Du hast auch in das zwölfte Zimmer gesehen, Du musst sterben.“ Darauf nahm er die Frau und sperrte sie gleichfalls in die dunkle Kammer. Dann ging er wieder zu der Predigersfrau und sagte: „Auch Eure zweite Tochter ist erkrankt, gebt mir die dritte zur Pflege mit.“ Die Frau sprach: „Meine Tochter ist zufällig nicht hier, wartet, sie kommt bald wieder, sie ist auf dem Felde; ist sie zurück, so will ich ihr Euer Anliegen sagen.“ Die Frau ging aber in die Küche, in welcher ihre Tochter war und sagte: „Mit dem Fremden ist es nicht richtig; ich glaube, Deine Schwestern sind todt. Fahre nur mit ihm und thue so, als wenn Du nichts gemerkt hättest, wir wollen einen Eilboten nach Deinem Bruder schicken, der wird Alle erretten.“ Darauf sprach die Tochter: „Gut, ich werde mitfahren; ich werde meine Schürze voll Rosen mitnehmen; unterwegs werde ich eine nach der andern fallen lassen, dann wird mein Bruder den Weg finden.“ Darauf ging die Tochter zu dem Fremden und sprach: „Lasst schnell anspannen, damit wir zu den kranken Schwestern kommen.“ Wie gesagt, so gethan. Die Tochter nahm von der Mutter Abschied und setzte sich zu dem Fremden in den Wagen. Als sie durch einen grossen Wald fuhren, liess sie von Zeit zu Zeit eine Rose fallen; endlich in der Nacht hatten sie das Schloss erreicht.

Des andern Morgens sprach der Fremde: „Von hier kommst Du nimmermehr fort, Deine Schwestern sind nicht krank, sondern sie sind todt: Du brauchst Dich nicht darüber zu grämen.“ Damit gab er ihr jene zwölf Schlüssel und verbot ihr, in das zwölfte Zimmer zu gehen. Die dritte Tochter war aber klüger, als die beiden ersten, ging sogleich an das