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XXI.
1.

Der Grünbart.

Es war einmal eine Predigersfrau, die hatte drei Töchter und einen Sohn. Die Töchter waren bei ihr, der Sohn aber war weit fort in Kriegsdiensten. Eines Tages kam ein feiner, junger Mann und fragte die Wittwe, ob sie ihm ihre älteste Tochter zur Frau geben wolle. Der Fremde sprach: „Ich habe ein schönes Schloss; viele Wälder, Felder und Dörfer sind mein Eigenthum. Ich habe Eure Tochter schon öfter gesehen; sie gefällt mir, deshalb will ich sie um jeden Preis zur Frau haben.“ Da liess die Frau ihre Tochter rufen und sprach zu ihr: „Willst Du mit dem Fremden ziehen?“ Die Tochter sagte „Ja.“ Da sprach der Fremde: „In drei Tagen soll die Hochzeit sein; nach der Hochzeit fährst Du mit mir nach meinem Schlosse.“ Am dritten Tage kam der Fremde wieder, und die Hochzeit wurde gefeiert; Abends fuhr das Ehepaar nach dem Schlosse. Als die junge Frau am andern Morgen aufwachte, stand der Mann vor ihrem Bette, gab ihr zwölf Schlüssel und sprach: „Ich muss verreisen und komme in einigen Tagen wieder: in elf Zimmer darfst Du gehen, in das zwölfte aber, welches dieser Schlüssel öffnet, nicht; thust Du das doch, so musst Du sterben.“

Nachdem der Mann fort war, ging die Frau in elf Zimmer; durch das Schlüsselloch guckte sie auch in das zwölfte. Da sah sie viel Blut auf dem Boden, so dass sie heftig erschrak. Nach einigen Stunden schon kam ihr Mann zurück; die Frau zeigte eine grosse Angst. Da sprach er: „Du hast in das zwölfte Zimmer gesehen, komm, jetzt kannst Du auf immer darinnen sitzen.“ Nach diesen Worten fasste er seine Frau und zog sie an den Haaren in die dunkle Kammer hinein.

Darauf ging er wieder zu der Predigersfrau und sagte: