Seite:Völkerschlacht bei Leipzig 03.jpg

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     Der mit jenem Rückzugswege unmittelbar zusammenhängende, 360 Schritt lange und in der größten Breite 160 Schritt messende Fleischerplatz ward dabei der Sammelort einer Menge von Fuhrwerken aller Art, Vorrathswagen, Chaisen, Leiterwagen, Kanonen und dergl., welche von ihren Lenkern wie von ihrer Bedeckung als verlorenes Gut preisgegeben worden waren. Die Nacht vom 18. zum 19. October wurde durch eine Menge von Wachfeuern auf jenem Platz erleuchtet, die zu wärmen bestimmt, welche sich in den Strom des ununterbrochen nach Westen stattfindenden Abmarsches zu drängen nicht vermochten, und genährt von den Barrieren der Promenaden, zerbrochenen Wagenrädern und anderen Effecten, welche in wilder Unordnung umher lagen. Das Haus in der Mitte des Platzes, früher zur Aufnahme und Untersuchung der aus Rußland heimkehrenden französischen Krieger, die von da aus entweder in die Spitäler wanderten oder als gesund entlassen wurden, bestimmt und deshalb mit dem Namen der Pesthütte belegt, hatte während der Schlachttage zur Aufbewahrung von Rindvieh und die daran stoßende Leichenkammer zur Aufbewahrung von Schafen gedient, und man trieb jetzt das erstere heraus, um den erschöpften Kriegern Platz zu machen. Gruppen von französischen Kriegern aller Waffengattungen sah man am Morgen des 19. an verschiedenen Stellen auf dem Boden gelagert, Kranke, Verwundete und Sterbende lagen hier und da in der Nähe der anstoßenden Gebäude und ledige, verwundete und gestürzte Pferde füllten an verschiedenen Stellen die Zwischenräume der chaotischen Verwirrung. Der Augenblick der Ruhe und Stille, der nach der Sprengung der Brücke eintrat und hier nur von dem Gebrüll der hungrigen Thiere, aus der Ferne von dem Krachen einzelner Kanonenschüsse unterbrochen ward, wurde von vielen Bewohnern Leipzigs aus den niederen Ständen – wie sich dies links im Vordergrunde des Blattes darstellt – auf‘s sorgfältigste benutzt, die zurückgebliebenen Vorrathswagen, die namentlich große Massen von Linnen enthielten, ihres Inhaltes zu entledigen und in diesem Geschäfte ließ man sich auch dann noch nicht stören, als auf der südlichen Seite des Platzes – dem Hintergrunde auf der rechten Seite des vorliegenden Blattes – ein ziemlich lebhaftes Gewehrfeuer zwischen den den Rückzug deckenden französischen Grenadieren und der vorangestürmten Preußischen Infanterie im englischen Solde sich entspann. Dieser folgten dicht hinter den geplünderten Wagen die Colonnen russischer Jäger im Sturmschritte und mit gefälltem Bayonette, während auf der einzigen noch vorhandenen, aber nur in den damals Richterschen, später Gerhardschen Garten führenden Brücke die Flüchtlinge in wilder Unordnung sich drängen, ihre Flucht durch Wegwerfen der Waffen zu erleichtern und französische Trainsoldaten, die an der Barfußmühle aufgestellten Munitionswagen ihres gefährlichen Inhalts zu entladen bemüht sind. Meister vom Platze machen die Preußen jenes Haus sofort zur Hauptwache, von der rechten Seite strömen ihren Reihen Abtheilungen von Bayern zu, welche bis dahin noch in der französischen Armee zurückgehalten worden waren und in gleicher Linie im Hintergrund erscheint eine starke Abtheilung polnischer Ulanen aufgestellt, deren Anführer mit russischen Officieren in Unterhandlungen begriffen sind. Mehr links im Hintergrund zeigten sich am Boden jenseits des Südgrabens sitzend Reihen von Franzosen, im Begriff, in der gewissen Erwartung der nahen Gefangenschaft, ihre schmutzige Wäsche noch mit frischer zu vertauschen. Preußische Plänkler eilten an ihnen vorüber und erwiderten einzelne auf sie gerichtete Flintenschüsse, worauf man bald das ängstliche Geschrei der Besiegten: „Pardon! Pardon!“ ertönen hörte, indessen im Nordost der Rauch des im Brühl gleichzeitig ausgebrochenen Feuers aufwirbelt, die langen Reihen der russischen Grenadiere Gewehr beim Fuß stehen, vor diesen weiter links Baschkiren und Gardekosaken halten und wiederum den letzteren zuvor in dichten Colonnen die Preußische Linieninfanterie und dann die Landwehr zu dem im Süden des Platzes begonnenen, jetzt immer mehr ersterbenden Kampfe eilt.

     Dies sind Hauptmomente der Darstellung, wie sie nur immer dem Darsteller in rascher Neben- und Aufeinanderfolge sich zeigten.

     In der Gegend des Brunnens gewahrt man mehrere vorausgeeilte Tyroler Scharfschützen, indeß weiter links dicht bei der Kanone ein Bayer von einem Preußen geplündert wird, dessen Gefährten jetzt die Leichenkammer geöffnet haben, aus der sich nun die Schafe herausdrängen.

     Ziemlich in der Mitte des, Bildes dicht vor der Promenade, ist ein Tyroler Anführer dem Pferde eines Polnischen Anführers in der französischen Stabsuniform in den Zügel gefallen, weiter links ist man bemüht, ein umherschweifendes Pferd aufzufangen und ein Kosak kehrt unweit davon in vollem Laufe mit einem erbeuteten Maulthiere in die Reihen der Seinigen zurück. Die plündernden Städter auf der rechten, die in stummer Resignation gelagerten französischen Krieger auf der linken Seite des Vordergrundes vollenden mit den hier und da auf der im Hintergrunde ersichtlichen Promenade liegenden erschöpften, verwundeten und sterbenden Kriegern, so wie mit manchen dem Beschauer leicht erklärlichen Einzelnheiten ein Ganzes, das allen denen, die Zeugen desselben wurden, unvergesslich sein und in seiner vorliegenden Darstellung hinsichtlich seiner factischen Treue auch dem strengsten Tadel in keiner Weise unterliegen wird.


Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Der letzte Akt der Völkerschlacht bei Leipzig am 19. Oktober 1813. Friedrich Geißler, Leipzig 1892, Seite Völkerschlacht bei Leipzig 03.jpg. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:V%C3%B6lkerschlacht_bei_Leipzig_03.jpg&oldid=- (Version vom 14.10.2019)