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herangezogen, waren ihm also numerisch so sehr überlegen, daß die Uebermacht ihn erdrücken mußte.

     Thatsächlich entschied der erste Schlachttag gegen Napoleon. Wohl behauptete er seine Stellung siegreich gegen den Angriff der Hauptarmee, aber sein gewaltiger Gegenstoß, bei welchem die verbündeten Monarchen, die auf dem Wachberge bei Göhren standen, nur durch eilige Flucht dem Schicksal entgingen, von König Murats Reitern, welche das russische Centrum durchbrochen hatten, gefangen genommen zu werden, scheiterte an dem heldenmüthigen Widerstand der Russen unter dem Prinzen Eugen von Württemberg und an dem rechtzeitigen Eingreifen der österreichischen Kürassiere. Daß es ihm gelang, sich bei Connewitz und Dölitz im Süden, bei Liebertwolkwitz im Osten und bei Lindenau im Westen gegen die Angriffe der Oesterreicher zu behaupten, war keine Entschädigung dafür, daß gleichzeitig im Norden, bei Möckern, sein Unterfeldherr Marmont von der schlesischen Armee unter York bis fast an die Thore von Leipzig zurückgeworfen wurde. Kurz, wenn Napoleon auf den ganzen 17., an welchem Tage Waffenruhe herrschte, auf dem Schlachtfelde stehen blieb, so wußte er doch genau, daß er am 18. gegen einen wesentlich verstärkten Feind um seinen Rückzug zu kämpfen hatte, falls es ihm nicht gelang, einen vortheilhaften Waffenstillstand abzuschließen. Zu diesem Zwecke hatte er den am 16. gefangenen österreichischen General v. Meerveldt an seinen Schwiegervater von Oesterreich abgesandt, doch die Verbündeten, des Sieges gewiß, ließen sich auf Unterhandlungen wohlweislich nicht ein und Napoleon, der schon in der Nacht vom 16. zum 17. seine gesammte schwere Artillerie zurückgeschickt hatte, schlug sich am 18. im Mittelpunkt eines Kreises, der sich auf allen Seiten um ihn geschlossen hatte. Er hatte nur eine Rückzugsstraße, die über Lindenau nach der Unstrut und dem Main, und mußte auch hier erst durchbrechen, denn bei Lindenau standen die Oesterreicher unter Giulay und hatten das Dorf schon mehrmals mit stürmender Hand angegriffen. Die Aufgabe, sich der feindlichen Angriffe so lange zu erwehren, bis man mit der Hauptmacht dem verderblichen Feuerkriege glücklich entronnen, hat das französische Heer am 18. in heldenmüthiger Weise gelöst, indem es namentlich den Schlüssel seiner Stellung, das Dorf Probstheida, unter entsetzlichem Blutvergießen gegen alle Angriffe der Russen und Preußen behauptete, sodaß die verbündeten Monarchen endlich Befehl gaben, das nutzlose Stürmen einzustellen. Der 19. Oktober trägt vollends den Charakter eines Nachhut-Gefechts; die so gut als möglich in Vertheidigungszustand gesetzten Vorstädte und ihre Gärten und Mauern sollten die Verbündeten so lange aufhalten, bis die Hauptmacht das schmale Defilé zwischen Leipzig und Lindenau glücklich hinter sich hätte. Auch dies würde muthmaßlich gelungen sein, wenn Napoleon am 17. oder 18. einige leichte Laufbrücken über die Pleiße hätte schlagen lassen, über welche die von Süden und Osten kommende Infanterie, für welche die etwas sumpfigen Wiesen ja kein Hindernis waren, direct nach Lindenau gegangen wäre. Es würde dadurch der feste Dammweg nach Lindenau für Reiterei und das Geschütz frei geworden sein und nur ein Theil des Fußvolkes hätte diesen Weg zu benutzen gebraucht. Diese bei einem so weitsichtigen Feldherrn doppelt unbegreifliche Unterlassungssünde hat dem französischen Heere durch die Verlangsamung des Rückzugs Tausende an Toten und Verwundeten und viele Tausende an Gefangenen gekostet, ganz abgesehen von einem unermeßlichen Verlust an Geschütz und Material. Dazu kam noch, daß die einzige feste Brücke, welche für den Rückzug der Armee zur Verfügung stand, die Elsterbrücke am Ausgang des Ranstädter Steinwegs, irrthümlich zu früh gesprengt wurde.

     Die Zustände, welche sich nach der Sprengung der Brücke auf dem Fleischerplatz entwickelten, auf dem die von allen Seiten um die Promenaden und durch die innere Stadt zurückgehenden Truppentheile sich zusammendrängten, da hier der Ranstädter Steinweg, die einzige schmale zur Rechten auch noch durch den Mühlgraben eingeengte Rückzugsstraße begann, stellt nun unser Bild dar und geben wir von jetzt ab zum größten Theil dem Künstler das Wort.

     Nach der Sprengung der Brücke, die sich als ein so verhängnißvoller Irrthum erweisen sollte, und die auch dem französischen Marschall Poniatowsky, der verwundet ward und ertrank, das Leben kostete, traten einige Augenblicke der Ruhe und Stille ein, welche den Darsteller ermunterten, die Plünderung der Wagen, die sich unter den Fenstern seiner in Nummer 986 am Fleischerplatz gelegenen Wohnung vollzog, zu skizziren. Die nachfolgenden Momente erweckten sein Interesse in einem solchem Grade, und hielten es in solcher Spannung, daß er mit Mißachtung der damit verbundenen nicht geringen persönlichen Gefahr das ganze Schauspiel und seinen bunten Wirrwarr in flüchtiger Skizze aufs Papier warf. Diese Scizze ist die Grundlage unseres Bildes, welches den Ausgang jener welthistorischen Katastrophe in einer Weise vor Augen führt, die umso wahrer und lebendiger erscheinen muß, als sie das Ergebnis eigener und ungestörter Anschauung ist, ein Umstand, der nur wenig Darstellern von Schlachtscenen zu Statten kommen dürfte. Unser Künstler C. G. H. Geißler erzählt: Schon am 18. war in der Stadt, gegen die der Feind von allen Seiten herandrängte, allgemeine Bestürzung und Unordnung entstanden; schon an diesem Tage war der Rückzugsweg mit zahlreichen Flüchtlingen aller Waffengattungen bedeckt.

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Der letzte Akt der Völkerschlacht bei Leipzig am 19. Oktober 1813. Friedrich Geißler, Leipzig 1892, Seite Völkerschlacht bei Leipzig 02.jpg. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:V%C3%B6lkerschlacht_bei_Leipzig_02.jpg&oldid=- (Version vom 14.10.2019)