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§. 23.

Ziehen wir nun am Schlusse dieses Abschnitts unsere Betrachtungen über das Vermögen und den Erwerb der hiesigen Bürger zusammen, so läßt sich nicht verkennen, daß Häuser und Grundstücke in neuerer Zeit beträchtlich im Preise gestiegen sind; ebenso hat der Verkehr der Gewerbetreibenden, hauptsächlich derjenigen, welche die ersten Lebensbedürfnisse verkaufen, seit dem Festungsbau bedeutend zugenommen; was aber der Gewerbsmann verdient, behält er in der Regel nicht in der Tasche, er verwendet es wieder zu Ausdehnung und Vervollkommnung seines Geschäfts, und für andere Bedürfnisse, die mit der Vermehrung seiner Einnahmen steigen, und so wird denn hier viel gebaut, viel gekauft, viel aufgewendet.

Einen großen Theil der Einnahme verschlingt aber der hohe Preis der Lebensmittel und der Arbeit, und von dem im Ganzen großen Verdienste, weil er sich unter sehr Viele vertheilt, kommt manchem Einzelnen nur wenig zu statten; endlich wächst aber auch die Zahl der Besitzlosen immer mehr an, die Nichts haben, als was sie täglich verdienen, und bei Krankheit und Arbeitslosigkeist den Armenanstalten anheimfallen.


§. 24.

Die äussern Verhältnisse haben aber immer auch eine innerliche Folge, sie wirken auf die Gesinnung und den Charakter: jene Frau sagte: wenn sie kein Geld in der Tasche habe, getraue sie sich nicht zu sagen: es sey schön Wetter. Mangel und Noth, wie oft haben sie nicht schon zu Lug und Trug verleitet; und Eigennutz und Anmaßung, wie sind sie gewaltig geworden.

Vorherrschend ist aber noch immer unter den Bürgern Lebenslust und gemüthliches freies Wesen, Aufrichtigkeit der Gesinnung und Ehrenhaftigkeit des Charakters.

Die Stadt ist nicht so groß, daß die Einzelnen sich nicht kennen, nicht Theil an einander nehmen, daß sie in Noth und Gefahr sich nicht mit Rath und That beistehen sollten; und sie ist nicht so klein, daß ihr nicht vielfache geistige Anregungen geboten wären, daß sie stille stehen und an abgeschmackten und verbrauchten Begriffen und Lebensweisen festhalten könnte.

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Christoph Leonhard Wolbach: Ulmische Zustände. Ernst Nübling, Ulm 1846, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ulmische_Zust%C3%A4nde_29.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)