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Erscheinung – wie das Erlöschen des Lebenslichts im Greisenalter ohne vorausgegangene Krankheit – erst dann ein, wenn den Arbeiter seine Kräfte verließen, für welchen Fall aber durch Stiftungen vorgesehen war, die den Altersschwachen mit dem Nothwendigsten versorgten; Gantungen waren äußerst selten; Auswanderungen, um in einem fremden Welttheile sein Heil zu versuchen, unbekannt, weil man in der Heimath sich fortbringen konnte.

Aus diesem gesicherten Zustande ist dann aber auch eine gewisse Ehrenhaftigkeit der Gesinnung und des Charakters hervorgegangen: wer seines Fortkommens auf ehrliche Weise gewiß ist, wird nicht leicht zu betrügerischen Mitteln seine Zuflucht nehmen; wer sein Geschäft mit Erfolg treibt, wird es darin weiter bringen, als der von Nahrungssorgen Niedergedrückte; das Gelingen erhöht und stärkt die Kraft auf eine wunderbare Weise; wer an die Genüsse und Zerstreuungen des Reichen nicht gewöhnt ist, wird sich auch mit einem kleinern Verdienste begnügen und bei seiner Arbeit bleiben.

Von diesem mittlern unter Alle vertheilten Wohlstande trifft man in unserer Stadt noch viele Spuren, besonders unter denjenigen Gewerben, welche, wie z. B die Schifferinnung, ihre alten Einrichtungen haben beibehalten können, und jene ehrenhafte bürgerliche Gesinnung ist hier noch keineswegs ausgestorben.


§. 14.

Der Geist der neuern Zeit hat aber alle Schranken, welche der freien Entwicklung der Kräfte im Wege stehen, zu entfernen getrachtet.

Warum sollte der Lehrling drei Jahre in der Lehre ausharren, wenn er in Einem das Nöthige sich aneignen, warum vier Jahre wandern, wenn er in zweien sich ausbilden kann? warum ein Meisterstück machen, bei dessen Beurtheilung ohnehin Gunst oder Neid oder Schlendrian leicht den Ausschlag geben, wenn er sich tüchtig fühlt? hat er sein Geschäft selbstständig zu treiben angefangen, ehe die Kraft dazu vorhanden ist, so mag er zu Grunde gehen, es ist dieß nur seine Schuld; ebenso mögen diejenigen, die sich dem Unbewährten anvertraut, die Folgen davon tragen, sie können über Niemanden deshalb klagen.

Warum sollte ferner derjenige, der durch Talent oder Reichthum über Andere hervorragt, nicht den vollesten Gebrauch

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Christoph Leonhard Wolbach: Ulmische Zustände. Ernst Nübling, Ulm 1846, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ulmische_Zust%C3%A4nde_18.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)