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Der Himmel war so dunkelblau,

Die Sonne war so voll und glühend,
Und eines Münsters stolzer Bau
Stand in dem goldnen Lichte blühend.
Mir dünkten helle Wolken ihn,

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Gleich Fittigen, emporzuheben,

Und seines Thurmes Spitze schien
Im sel’gen Himmel zu verschweben.

Der Glocke wonnevoller Klang
Ertönte schütternd in dem Thurme,

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Doch zog nicht Menschenhand den Strang,

Sie ward bewegt von heil’gem Sturme.
Mir war’s, derselbe Sturm und Strom
Hätt’ an mein klopfend Herz geschlagen,
So trat ich in den hohen Dom

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Mit schwankem Schritt und freud’gem Zagen.


Wie mir in jenen Hallen war,
Das kann ich nicht mit Worten schildern.
Die Fenster glühten dunkelklar
Mit aller Märtrer frommen Bildern;

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Dann sah ich, wundersam erhellt,

Das Bild zum Leben sich erweitern,
Ich sah hinaus in eine Welt
Von heil’gen Frauen, Gottesstreitern.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Uhland: Gedichte von Ludwig Uhland (1815). J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1815, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:UhlandGedichte1815_0339.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)