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Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll,
Daß reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll,
Dann strömte himmlisch helle des Jünglings Stimme vor,
Des Alten Sang dazwischen, wie dumpfer Geisterchor.

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Sie singen von Lenz und Liebe, von sel’ger goldner Zeit,

Von Freiheit, Männerwürde, von Treu und Heiligkeit;
Sie singen von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt,
Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt.

Die Höflingsschaar im Kreise verlernet jeden Spott,

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Des Königs trotz’ge Krieger, sie beugen sich vor Gott,

Die Königin, zerflossen in Wehmuth und in Lust,
Sie wirft den Sängern nieder die Rose von ihrer Brust.

„Ihr habt mein Volk verführet, verlockt ihr nun mein Weib?“
Der König schreit es wüthend, er bebt am ganzen Leib,

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Er wirft sein Schwerdt, das blitzend des Jünglings Brust durchdringt,

Draus, statt der goldnen Lieder, ein Blutstral hochauf springt.

Und wie vom Sturm zerstoben ist all der Hörer Schwarm,
Der Jüngling hat verröchelt in seines Meisters Arm,
Der schlägt um ihn den Mantel und setzt ihn auf das Roß,

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Er bindt ihn aufrecht feste, verläßt mit ihm das Schloß.


Doch vor dem hohen Thore, da hält der Sängergreis,
Da faßt er seine Harfe, sie aller Harfen Preis,
An einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt,
Dann ruft er, daß es schaurig durch Schloß und Gärten gellt:

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Uhland: Gedichte von Ludwig Uhland (1815). J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1815, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:UhlandGedichte1815_0336.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)