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Jung Roland, Sohn des Milon, sprach:
„Lieb Vater! hört, ich bitte!
Vermeint Ihr mich zu jung und schwach,

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Daß ich mit Riesen stritte,

Doch bin ich nicht zu winzig mehr,
Euch nachzutragen Euern Speer
Sammt Eurem guten Schilde.“

Die sechs Genossen ritten bald

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Vereint nach den Ardennen,

Doch als sie kamen in den Wald,
Da thäten sie sich trennen.
Roland ritt hinter’m Vater her;
Wie wohl ihm war, des Helden Speer,

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Des Helden Schild zu tragen!


Bei Sonnenschein und Mondenlicht
Streiften die kühnen Degen,
Doch fanden sie den Riesen nicht
In Felsen noch Gehegen.

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Zur Mittagsstund’ am vierten Tag

Der Herzog Milon schlafen lag
In einer Eiche Schatten.

Roland sah in der Ferne bald
Ein Blitzen und ein Leuchten,

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Davon die Stralen in dem Wald

Die Hirsch’ und Reh’ aufscheuchten;
Er sah, es kam von einem Schild,
Den trug ein Riese, groß und wild,
Vom Berge niedersteigend.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Uhland: Gedichte von Ludwig Uhland (1815). J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1815, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:UhlandGedichte1815_0300.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)