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Wie die Dame kaum genossen,

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Hat sie also weinen müssen,

Daß sie zu vergehen schien
In den heißen Thränengüssen.

Doch der Ritter von Fayel
Spricht zu ihr mit wildem Lachen:

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„Sagt man doch von Taubenherzen,

Daß sie melancholisch machen:

Wieviel mehr, geliebte Dame,
Das, womit ich Euch bewirthe!
Herz des Kastellans von Couci,

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Der so zärtlich Lieder girrte.“


Als der Ritter dies gesprochen,
Dieses und noch andres Schlimme,
Da erhebt die Dame sich,
Spricht mit feierlicher Stimme:

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„Großes Unrecht thatet Ihr,

Euer war ich ohne Wanken,
Aber solch ein Herz genießen
Wendet leichtlich die Gedanken.

Manches tritt mir vor die Seele,

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Was vorlängst die Lieder sangen,

Der mir lebend fremd geblieben,
Hat als Todter mich befangen.

Ja! ich bin dem Tod geweihet,
Jedes Mahl ist mir verwehret,

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Nicht geziemt mir andre Speise

Seit mich dieses Herz genähret.

Aber Euch wünsch’ ich zum Letzten
Milden Spruch des ew’gen Richters.“ –
Dieses alles ist geschehen

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Mit dem Herzen eines Dichters.



Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Uhland: Gedichte von Ludwig Uhland (1815). J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1815, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:UhlandGedichte1815_0247.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)