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Und es geht ein Mann vorüber,
Der sich traurig zu ihm wendet:
„Störe nicht die Ruh der Todten!

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Fräulein Blanka hat vollendet.“


Doch Durand, der junge Sänger,
Hat darauf kein Wort gesprochen,
Ach! sein Aug’ ist schon erloschen,
Ach! sein Herz ist schon gebrochen.

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Drüben in der Burgkapelle,

Wo unzähl’ge Kerzen glänzen,
Wo das todte Fräulein ruht,
Hold geschmückt mit Blumenkränzen:

Dort ergreifet alles Volk

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Schreck und Staunen, freudig Beben,

Denn von ihrem Todtenlager
Sieht man Blanka sich erheben.

Aus des Scheintods tiefem Schlummer
Ist sie blühend auferstanden,

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Tritt im Sterbekleid hervor

Wie in bräutlichen Gewanden.

Noch, wie ihr geschehn, nicht wissend,
Wie von Träumen noch umschlungen,
Fragt sie zärtlich, sehnsuchtsvoll:

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„Hat nicht hier Durand gesungen?“


Ja! gesungen hat Durand,
Aber nie mehr wird er singen,
Auferweckt hat er die Todte,
Ihn wird Niemand wiederbringen.

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Schon im Lande der Verklärten

Wacht’ er auf und mit Verlangen
Sucht er seine süße Freundin,
Die er wähnt vorangegangen;

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Uhland: Gedichte von Ludwig Uhland (1815). J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1815, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:UhlandGedichte1815_0243.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)