Seite:UhlandGedichte1815 0220.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Der Rosenkranz.


In des Maies holden Tagen,
In der Aue Blumenglanz,
Edle Knappen fechten, jagen
Um den werthen Rosenkranz.

5
Wollen nicht mit leichtem Finger

Blumen pflücken auf dem Plan,
Wollen sie, als wackre Ringer,
Aus der Jungfrau Hand empfahn.

In der Laube sitzt die Stille,

10
Die mit Staunen Jeder sieht,

Die in solcher Jugendfülle
Heut zum ersten Male blüht.
Volle Rosenzweig’ umwanken,
Als ein Schattenhut, ihr Haupt;

15
Reben mit den Blüthenranken

Halten ihren Leib umlaubt.

Sieh! im Eisenkleid ein Reiter
Zieht auf krankem Roß daher,
Senkt die Lanz’, als müder Streiter,

20
Neigt das Haupt, wie schlummerschwer.

Dürre Wangen, graue Locken;
Seiner Hand entfiel der Zaum.
Plötzlich fährt er auf, erschrocken,
Wie erwacht aus bangem Traum.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Uhland: Gedichte von Ludwig Uhland (1815). J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1815, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:UhlandGedichte1815_0220.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)