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Der blinde König.


Was steht der nord’schen Fechter Schaar
Hoch auf des Meeres Bord?
Was will in seinem grauen Haar
Der blinde König dort?

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Er ruft, in bittrem Harme

Auf seinen Stab gelehnt,
Daß über’m Meeresarme
Das Eiland wiedertönt:

„Gib, Räuber, aus dem Felsverließ

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Die Tochter mir zurück!

Ihr Harfenspiel, ihr Lied, so süß,
War meines Alters Glück.
Vom Tanz auf grünem Strande
Hast du sie weggeraubt,

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Dir ist es ewig Schande,

Mir beugt’s das graue Haupt.“

Da tritt aus seiner Kluft hervor
Der Räuber, groß und wild,
Er schwingt sein Hünenschwerdt empor

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Und schlägt an seinen Schild:

„Du hast ja viele Wächter,
Warum denn litten’s die?
Dir dient so mancher Fechter,
Und keiner kämpft um Sie?“

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Uhland: Gedichte von Ludwig Uhland (1815). J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1815, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:UhlandGedichte1815_0165.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)