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Ein Aufsatz von Heinrich von Kleist.
An den Herausgeber von „Nord und Süd“.


Herzlichen Dank, lieber Freund, für die Kleistische Abhandlung! Du fragst mich, als „den gelehrten Verfasser der Monographie über Heinrich von Kleist“, ob mir dieser Aufsatz bekannt war. Nein; ich kannte ihn nicht. Ich wußte nicht, daß er existirte. Glücklicher Zufall, der Dich nach Dessau zu Herrn Karl Meinert führte; der Dich in diesem glücklichen Besitzer einer der schönsten Autographensammlungen (wie Du ihn beneiden wirst!) auch einen begeisterten Kleist-Verehrer und so bereitwilligen Spender seines Schatzes finden ließ! Denn dieser Aufsatz von Kleist ist gewiß ein Schatz. Wie schön ist er, lieber Freund! Was für ein Blick in die geheime Werkstatt des Gedankens! Was für ein wunderbarer, eigenster Genuß, diesen klaren Aufbau klarster Ideen in diesem festen, cyklopischen Gefüge Kleistischer Prosa langsam, wie eine Mauer, aufsteigen zu sehen. Als ich den Aufsatz las, und wieder las, hab’ ich von neuem empfunden, was ich so oft empfand: daß, wenn man sich einmal in diesen Satzbau vertieft hat, er als der kräftigste, vornehmste, natürlichste, als der einzig richtige, kurz, zuletzt als der vollkommenste unter allen möglichen erscheint. Scheinbar eigensinnig, persönlich, und doch so sachlich wie die Antike: so durchaus antik … Es überkommt mich eine Rührung, sag’ ich Dir, wenn ich wieder sehe, wie dieser Geist an sich gehämmert und gemeißelt hat, in tiefer innerer Noth mit sich allein; gehämmert und gemeißelt, um all die Vollkommenheit, deren er irgend fähig war, sich Schritt für Schritt zu erkämpfen; und wie wenig Dank und lohn, wie wenig Freude ihm ward – –

Doch wem sag’ ich das … Jetzt wird er bekannt. Jetzt – sechzig, siebzig Jahre nach seinem Tod — wird er allmählich bekannt! — Als er diesen Aufsatz schrieb, war er ungefähr 29 Jahre alt und noch fast so unbekannt, wie man sein kann; freilich auch noch nicht lange von dem Sturz genesen, der seinem allzu titanischen Aufstreben ein tragisches Ende gemacht, ihn in körperlicher und geistiger Zerrüttung am Boden hingestreckt hatte. Denn nach den Andeutungen, die der erste Theil des Aufsatzes über seine geschäftlichen Thätigkeiten und über sein Zusammensein mit der Schwester macht, ist kaum zu bezweifeln, daß er ihn