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ruhig daran, Biskuits zu essen und seinen Tee auszutrinken, Felicie, die alles das beobachtete, obgleich sie so tat, als ob sie es nicht sähe, hielt es nicht länger aus. Es war, wie ich Gustav sagte: sowohl Puls wie Atmung waren in Ordnung. „Sonderbar,“ fügte er hinzu, „daß sie dabei einen Ohnmachtsanfall hatte.“

Felicie war wütend und kam nach und nach zu sich. Sie ordnete ihre Kleidung und bat uns, sie allein zu lassen.

Da sie es für sehr wichtig hielt, in Gustavs Augen ohnmächtig gewesen zu sein, hätte sie mich ganz sicherlich, falls ich eine Lust (die nicht vorhanden war) hätte befriedigen wollen, alles tun lassen, nur um hinterher über mein schmähliches Betragen uns ihr tiefes Unglück klagen zu können.

Dabei war sie bis dahin tatsächlich ehrbar und überhaupt völlig gleichgültig für dieses Vergnügen; aber sie hätte sich bestimmt mißbrauchen lassen.

Dadurch, daß Weilberg, den sie stets als leidenschaftlichen Verehrer hingestellt hatte, seine Gleichgültigkeit vor mir offen bekundet hatte, fühlte sich Felicie so tief gedemütigt, daß sie wirklich krank wurde. Weilberg wollte nach dieser lächerlichen Scene nicht mehr zu ihr gehen. Als sie jedoch längere Zeit das Bett hüten mußte und in Anbetracht dessen, daß er früher so viel in ihrem Hause verkehrt hatte, und weil sein Fernbleiben aufgefallen wäre, erschien er wieder. Dann wurden seine Besuche nach und nach seltener, und erst nach acht Monaten ging er gar nicht mehr hin.

Felicie liebte die Musik sehr. Da sie selbst keine Loge in den Bouffes besaß, hatte sie selten Gelegenheit, hinzugehen. Eines Tages überließen uns Bekannte eine ganze Loge. Sie arrangierte es so, daß

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Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_340.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)