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157.

Ich habe beobachtet, wie ein Mann entdeckt, daß ein Rivale geliebt wird, während es dieser in seiner Leidenschaft nicht merkt,


158.

Heloïse spricht von ihrer Liebe, ein Geck spricht von der seinen, und doch ist beides kaum dem Namen nach gleich. Es ist wie mit der Liebe für Konzerte und der Liebe für Musik. Der eine liebt den eitlen Genuß, den ihm sein Spiel inmitten einer glänzenden Gesellschaft gewährt, der andere liebt zärtliches, einsames, schüchternes Träumen.


159.

Ein Wörterbuch der Musik ist noch nicht verfaßt, nicht einmal begonnen worden. Nur durch Zufall kann man den musikalischen Ausdruck für Zorn oder Liebe und ihre Nuancen finden. Der Tonkünstler findet ihn nur, wenn ihn die Gegenwart der Leidenschaft oder die Erinnerung an eine solche begeistert. Menschen, die ihr Jugendfeuer zum Studium, statt zum Empfinden verbrauchen, können nie große Künstler werden. Nichts ist einfacher, als diese Folgerung


160.

Ohne Nuancen ist der Besitz einer angebeteten Frau kein Glück und überhaupt unmöglich.


161.

Leidenschaft nenne ich nur die durch großes Unglück erprobte Liebe, durch solches Unglück, wie es Romane wohlweislich nicht schildern und auch gar nicht zu schildern imstande sind.



Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_319.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)