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brauchte ihr Benehmen nur ein wenig zu ändern, aber sie hält es für eine niedrige und für ihr ganzes Leben folgenschwere Handlung, nur einen Schritt vom Natürlichen abzuweichen.


132.

Ich habe kürzlich in einem schönen Schlosse in der Umgegend von Paris einen sehr hübschen, begüterten und geistreichen jungen Mann von kaum zwanzig Jahren kennen gelernt. Der Zufall führte ihn dort beinahe allein und für lange Zeit mit einem bildschönen achtzehnjährigen Mädchen zusammen, das begabt, äußerst feingeistig und ebenfalls sehr reich ist. Wer hätte nun nicht eine Leidenschaft erwartet? Nichts davon; die Geziertheit war bei diesen beiden reizenden Wesen so groß, daß jeder vollauf mit sich selbst und dem Eindruck, den er hervorrufen wollte, beschäftigt war.


133.

Kinder weinen, um ihren Willen durchzusetzen, und wenn man nicht darauf hört, stellen sie sich krank. Junge Frauen sind beleidigt aus Eigenliebe.


134.

Schmeicheleien, die man kleinen dreijährigen Mädchen sagt, sind entschieden das sicherste Mittel, ihnen die verderblichste Eitelkeit anzuerziehen. Hübsch sein ist die erste Tugend und die nützlichste in der Welt. Hübsche Kleider haben, heißt hübsch sein.


135.

Gestern Abend hörte ich zwei reizende kleine Mädchen von vier Jahren, als ich sie schaukelte, recht leichtsinnige

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Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_311.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)