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Der Ritter groß und blaß, der Knappe feist und frisch, der eine ganz Held und Ritter, der andere selbstsüchtig und knechtisch, jener romantisch, phantastisch und sentimental, dieser voller Lebensklugheit und weiser Lebensregeln, jener mit einer nach gewaltigen und wagehalsigen Plänen durstenden Seele, dieser ein kluger Berechner aller kleinlichen, widerlichen und eigennützigen Regungen des Menschenherzens,

In dem Augenblicke, wo jener durch den Mißerfolg seiner gestrigen Phantastereien enttäuscht sein müßte, erträumt er sich bereits neue Luftschlösser für die Zukunft.


70.

Man muß einen prosaischen Gatten und einen romantischen Geliebten haben.

Marlborough hatte eine prosaische Seele; Heinrich der Vierte, der sich mit fünfundfünfzig Jahren in eine junge Prinzessin verliebte, ein romantisches Herz. (Vgl. Dulaure, „Histoire de Paris“.)

Es gibt weniger prosaische Seelen unter dem Adel, als im Bürgerstande.

Ein Nachteil des Handels liegt darin, daß er prosaisch macht.


71.

Die Gesetze der Phantasie sind noch sehr wenig erforscht und auch meine Ansicht, die ich im folgenden entwickle, ist vielleicht falsch.

Ich glaube zwei Arten der Phantasie unterscheiden zu können:

1. Die feurige, stürmische, der ersten Eingebung gehorchende Phantasie, die sich sofort in die Tat umsetzt,

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_288.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)