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40.

Niemals in meinem Leben bin ich vor der Schönheit so betroffen und schüchtern gewesen, wie heute Abend in einem Konzert der Frau Pasta (London 1817).

Sie war, als sie sang, von drei Reihen junger Frauen umgeben, die so schön waren, von so reiner und himmlischer Schönheit, daß ich fühlte, wie ich aus Achtung die Blicke senkte, anstatt mit offenen Augen zu bewundern und zu genießen. In keinem anderen Lande ist es mir ähnlich ergangen, nicht einmal in meinem geliebten Italien.


41.

Der bekannte Johannes von Müller sagte zu mir (Cassel, 1808): „Die Natur hat dem Norden die Kraft und dem Süden den Geist gegeben,“


42.

Die in der Liebe glücklichen Menschen sehen hier (Dresden, 1818) tiefernst aus, was man in Frankreich mit tieftraurig verwechseln würde.


43.

Goethe, überhaupt die genialen Männer Deutschlands, schätzen das Geld nach seinem richtigen Wert. An das Vermögen darf man nur denken, solange man unter sechstausend Franken Jahreseinkommen hat, dann nicht mehr. Beschränkte Menschen dagegen verstehen den Vorzug dieser Goetheschen Anschauung nicht; ihr ganzes Leben lang fühlen sie nur durch das Geld und denken nur an das Geld. Diese verschiedene Wertschätzung verhilft in der Welt den prosaischen Geistern anscheinend zum Siege über die vornehmen Seelen.



Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_274.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)