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Ellen vom Hafendamm entfernt war. Plötzlich hörte ich vom Meer her Rufe, als wenn mich einer riefe. Ich sah, wie sich ein kleines Boot mir näherte. ‚Vorwärts, mein Herr, man wartet auf Sie!‘ Ganz mechanisch stieg ich in das Boot. Ein Mann war darin, der mir ins Ohr flüsterte: ‚Wie ich Sie so verzweifelt auf dem Hafendamm herumlaufen sah, dachte ich mir, daß Sie gewiß ein armer Proskribierter seien. Ich habe gesagt, Sie seien mein Freund, den ich erwarte. Stellen Sie sich seekrank und bleiben Sie in der dunkelsten Ecke der Kajüte!‘“

„Welch ein schöner Zug!“ rief die Dame des Hauses atemlos und über die lange, sehr geschickt vorgetragene Geschichte von den Gefahren des Abbés zu Tränen gerührt aus. „Wie dankbar müssen Sie diesem hochherzigen Unbekannten gewesen sein! Wie hieß er denn?“

„Seinen Namen weiß ich nicht,“ antwortete der Abbé ein wenig verwirrt.

Einen Augenblick lang herrschte Totenstille im Salon.


29.

Die größte Schmeichelei, welche die überspannte Phantasie ersinnen und der aufwachsenden Generation für ihr Leben, ihre Weltanschauung und ihre Macht einimpfen könnte, ist die lauterste Wahrheit. Diese Jugend hat nichts auszubauen, sie muß alles neu schaffen. Es ist das größte Verdienst Napoleons, reinen Tisch gemacht zu haben.


30.

Vollkommenheit in den kleinen Sorgen der Lebensführung und der Kleidung, große Güte, Mangel an

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Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_268.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)