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Mißgeschick hat, keinen Nachbar zu haben, wenigstens sich selbst zu beweisen, daß man seinen Laharpe gelesen hat und ein Mann von modernem Geschmack ist. So sucht die Jugend das Vergnügen eines alten Schulmeisters.


7.

Wenn ich meiner Überzeugung getreu sagen wollte, die Gutmütigkeit ist ein Charakterzug des Parisers, so würde ich Gefahr laufen, ihn zu beleidigen.

Er will nicht gut sein!


8.

Der Pariser hat die Fähigkeit, sich mit allem eifrigst zu beschäftigen, aber nur drei Tage lang. Napoleons Tod, Berangers Verurteilung – alles erregt erst die gleiche Sensation, und am vierten Tage gilt es als taktlos, noch einmal davon anzufangen. Muß jede Hauptstadt so sein, oder liegt das lediglich an der Gutmütigkeit und Leichtlebigkeit der Pariser?


9.

Will man sich in Paris wohlfühlen, so muß man auf eine Anzahl von Kleinigkeiten achten. Doch läßt sich etwas Bedeutendes dagegen einwenden: man zählt in Paris viel mehr Frauen, die sich aus Liebe töten, als in allen Städten Italiens zusammen. Diese Tatsache verwirrt mich. Ich habe im ersten Augenblick keine Erklärung dafür; aber trotzdem bleibe ich bei meiner Ansicht. Vielleicht mag der Tod den Franzosen unter solchen Umständen geringfügig erscheinen: so langweilig ist ihnen die Überkultur geworden; oder wahrscheinlicher ist es die überreizte und verletzte Eitelkeit, die ihnen die Pistole in die Hand drückt.



Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_261.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)