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2. daß man seine Sache gut gemacht hat und einer Gefahr entronnen ist. Dieser Umstand ist daran schuld, daß die Freude in der Liebe aus Leidenschaft nicht ungetrübt ist; man weiß nicht, was man tut, und man ist der Geliebten sicher. In der Liebe aus Galanterie jedoch, in der man nie den Kopf verliert, ist jener Augenblick wie die Heimkehr von einer Reise; man betrachtet sich prüfend, und wenn die Liebe viel Eitelkeit an sich hat, will man diese Prüfung verbergen.

3. Das gemeine Element der Seele genießt die siegreiche Errungenschaft. Vorausgesetzt, daß man Leidenschaft für eine Frau empfindet und daß unsre Phantasie nicht matt ist, so wird man, wenn die Geliebte die Ungeschicklichkeit begeht, uns eines Abends zärtlich und heimlich zuzuflüstern: „Komm morgen Mittag, wir werden allein sein,“ in nervöser Unruhe die ganze Nacht nicht schlafen. Wir malen uns tausend Bilder von dem Glücke aus, das unserer harrt; der Vormittag ist eine Qual; endlich schlägt die Stunde und jeder Schlag der Uhr scheint uns im Herzen wiederzuhallen. Auf dem Wege durch die Stadt haben wir Herzklopfen und kaum die Kraft zu gehen. Auf ihrer Treppe reden wir uns Mut ein – und wir erleben ein Fiasko der Phantasie.

Ein gewisser Rapture, ein Künstler, doch ein beschränkter Kopf, überdies ein sehr nervöser Mensch, erzählte mir in Messina, daß er nicht nur einmal, nein immer beim ersten Male, also dauernd, Unglück gehabt habe. Dabei halte ich ihn für einen Mann wie alle anderen, wenigstens habe ich zwei reizende Maitressen von ihm gesehen.


Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_254.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)