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Endlich entdeckt er die verhängnisvolle Wahrheit und gesteht sie sich selbst ein. Sein einziger Genuß besteht fortan darin, seine Macht fühlen zu lassen und ungeschminkt Böses um des Bösen willen zu tun. Das ist die letzte Zuflucht aller Unglücklichen; aber kein Dichter hat jemals eine getreue Darstellung davon gewagt; eine wahrheitsvolle Schilderung wäre ein Schreckbild.

Indessen ist zu hoffen, daß ein höherer Mensch diesen verhängnisvollen Weg nicht bis ans Ende verfolgt, denn dem Charakter Don Juans liegt ein gewisser Widerspruch zu Grunde. Ich habe bei ihm viel Geist vorausgesetzt und viel Geist läßt uns den Weg vom Tempel des Ruhmes zur Entdeckung der Tugend finden.

Larochefoucald, der sich wirklich auf Eigenliebe verstand und der im wirklichen Leben nichts weniger als ein einfältiger Literat[1] gewesen ist, sagt in seinen „Maximes“ (267): „Der Genuß der Liebe liegt im Lieben und man ist glücklicher über eine Leidenschaft, die man fühlt, als über eine, die man einflößt.“

Das Glück Don Juans ist nichts als Eitelkeit, die allerdings auf Voraussetzungen beruht, bei denen Geist und Tatkraft eine große Rolle spielen. Aber er muß fühlen, daß der unbedeutendste General, der eine Schlacht gewinnt, oder der kleinste Präfekt, der ein Departement verwaltet, einen reicheren Genuß hat, als er; anderseits steht das Glück des Herzogs von Nemours, als ihm die Prinzessin von Cleve ihre Liebe gesteht, meiner Meinung nach über dem Glücke Bonapartes bei Marengo.

Die Liebe eines Don Juan ist ein ähnliches Gefühl, wie die Vorliebe für die Jagd. Sie ist ein Tatendrang,


  1. [357] Vgl. „Memoiren des Kardinals von Retz“.
Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_247.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)