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Nicht weniger, als Sie die Absicht hegen, Ihre Tochter in der Oper auftreten zu lassen, weil Sie ihr einen Gesanglehrer halten. Ich möchte behaupten, daß eine Frau ihre Werke nur nach ihrem Tode veröffentlichen lassen soll, wie Frau von Staal-Launay. Wenn eine Frau unter fünfzig Jahren etwas drucken läßt, so setzt sie damit ihr Glück in der leichtfertigsten Weise aufs Spiel. Hatte sie das Glück, einen Geliebten zu besitzen, so wird sie ihn alsbald verlieren.

Nur eine Ausnahme erkenne ich an, wenn eine Frau zum Besten der Ernährung und Erziehung ihrer Familie schreibt. Dann muß sie sich aber, wenn sie von ihren Arbeiten spricht, mit dem Geldpunkte entschuldigen und zum Beispiel zu einem Rittmeister sagen: „Ihre Stellung bringt Ihnen jährlich viertausend Franken. Ich konnte im letzten Jahre durch meine zwei Übersetzungen aus dem Englischen dreitausendfünfhundert Franken mehr auf die Erziehung meiner beiden Söhne verwenden.“

Sonst muß eine Frau ihre Bücher so drucken lassen, wie der Baron Holbach oder Frau von Lafayette, deren beste Freunde nichts davon wußten. Nur für Halbweltschönheiten kann die Veröffentlichung eines Buches ohne Nachteil bleiben. Die Menge, der es freisteht, sie wegen ihres Gewerbes zu verachten, hebt sie wegen ihrer Begabung in den Himmel und läßt sich davon betören.

Von den Männern in Frankreich, die sechstausend Franken Jahreseinkommen haben, finden die meisten in literarischer Hinsicht Befriedigung, ohne daß es ihnen in den Sinn kommt, selbst etwas zu veröffentlichen. Das Lesen eines guten Buches ist ihnen einer der größten

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_227.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)