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„Sie sollen sich fernerhin um Küche und Haushalt kümmern. Darum haben sie keine Zeit, einem Manne an Kenntnissen gleichzukommen.“

Die Männer sind Richter, Bankiers, Rechtsanwälte, Kaufleute, Ärzte, Geistliche oder sonstwas, und doch finden sie Zeit, die Reden von Fox und die „Lusiaden“ von Camoëns zu lesen.

Bei den heutigen Zuständen ist die Muße, die für den Mann die Quelle allen Glückes und wirklichen Reichtums ist, für die Frau nicht nur kein Vorteil, sondern eine unheilvolle Freiheit.

„Aber den Frauen liegen die kleinsten häuslichen Arbeiten ob.“

Herr S*** hat vier Töchter, die nach den besten Grundsätzen erzogen worden sind, das heißt, sie arbeiten den ganzen Tag. Wenn ich hinkomme, singen sie Arien von Rossini, die ich ihnen aus Neapel mitgebracht habe; sonst lesen sie biblische Geschichte, lernen aus der Geschichte das Dümmste, die Zahlen und Memorierverse, sind in der Geographie bewandert und sticken wundervoll, kurz, ich schätze, daß jedes von diesen hübschen jungen Mädchen sich mit seiner Arbeit täglich acht Sous verdienen könnte. Das macht, auf dreihundert Tage gerechnet, im Jahre vierhundertundachtzig Franken; es ist weniger, als man einem ihrer Lehrer gibt. Für jährlich vierhundertundachtzig Franken verlieren sie also für immer die Zeit, in der es dem Menschen vergönnt ist, seinen Ideenkreis zu erweitern.

„Wenn die Frauen die zehn oder zwölf guten Bücher, die jedes Jahr in Europa erscheinen, mit Genuß zu lesen verständen, würden sie bald die Pflege ihrer Kinder vernachlässigen.“


Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_220.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)