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– „Sie sind alle dein, so gut wie ich,“ antwortete sie. „Nun,“ fuhr Ualid fort, „dann möchte ich die, auf der ich sitze.“ – „In dieser sind für eine Frau unentbehrliche Dinge,“ sagte Om-el-Bonain. – „Ich will ja nicht den Inhalt, nur die Truhe,“ beharrte Ualid. – „Sie ist dein!“ antwortete sie. Ualid ließ sofort die Truhe wegschaffen, rief zwei Sklaven und befahl ihnen, ein Loch in die Erde zu graben, so tief, bis sie auf Wasser stießen. Dann näherte er sich mit seinem Munde der Truhe und rief: „Man hat mir etwas von dir gesagt; wenn es wahr ist, so sei jede Spur von dir getilgt, jede Kunde begraben. Hat man mich aber belogen, dann tue ich nichts Böses, wenn ich eine Truhe vergrabe; denn ich verscharre nur Holz.“ Dann ließ er die Truhe in das Loch werfen und dieses mit den ausgegrabenen Steinen und Erdschollen wieder zuschaufeln.

Seitdem besuchte Om-el-Bonain häufig jenen Ort, um dort zu weinen, bis man sie eines Tages entseelt fand, das Antlitz zur Erde gewendet.


56. Die Liebe im Altertume

Nachgelassene Liebesbriefe von römischen Damen hat man uns nicht überliefert. Petronius hat ein reizendes Buch geschrieben, aber er schildert nur die Entartung.

Über die Liebe im alten Rom haben wir außer der Dido und der zweiten Ekloge Virgils nichts Genaueres, als die Werke der drei großen Dichter Ovid, Tibull und Properz.


Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_206.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)