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Asra: „Ihr Asra glaubt, aus Liebe zu sterben sei ein süßer und edler Tod; aber es ist offenbar Schwäche und Dummheit, und die, welche ihr für großherzige Männer haltet, sind nichts als törichte und weichliche Geschöpfe.“ – „Du sprächest nicht so,“ entgegnete der Asra, „hättest du die großen schwarzen Augen unserer Frauen gesehen, wie sie unter dem Schleier ihrer langen Wimpern hervorblitzen; hättest du sie lächeln sehen und ihre weißen Zähne zwischen braunen Lippen schimmern.“

Ali Abu-el-Hassan, Sohn Abdallahs, erzählt folgendes: „Ein Muselmann liebte ein christliches Mädchen bis zum Wahnsinn. Er war gezwungen, mit einem Freunde, der um seine Liebe wußte, eine Reise in ein fremdes Land zu machen. Seine Geschäfte daselbst zogen sich in die Länge; eine tödliche Krankheit befiel ihn und er sprach zu seinem Freunde: ‚Ich fühle, daß mein Ende naht; ich werde die, die ich liebe, in dieser Welt nie wiedersehen und ich fürchte, wenn ich als Muselmann sterbe, auch im Jenseits nicht.‘ Er wurde Christ und starb. Sein Freund fand bei seiner Rückkehr die Christin sterbenskrank. Sie sagte ihm: ‚Ich werde meinen Freund in dieser Welt nicht mehr sehen, aber ich will mit ihm im Jenseits vereint sein. Darum bekehre ich mich zu dem Glauben, daß es keinen Gott außer Allah gibt, und daß Mohammed sein Prophet ist!‘ Darauf starb sie; die Gnade Gottes komme über sie.“

Eltemini erzählt, daß bei dem arabischen Stamme der Tagleb eine junge, sehr reiche Christin gelebt habe, die einen jungen Muselmann liebte. Sie bot ihm ihr Vermögen dar, und alles, was sie an Kostbarkeiten besaß, ohne daß es ihr gelang, seine Liebe zu gewinnen. Als

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Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_203.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)