Seite:Ueber die Liebe 132.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


Die ersten Szenen in Shakespeares „Romeo und Julia“ sind ein bewundernswertes Gemälde. Welch ein großer Unterschied ist zwischen dem Manne, der sich traurig sagt: „She hath forsworn to love!“ und dem, der auf dem Höhepunkt des Glückes ausruft: „Come what sorrow can!“


39. Kapitel
Her passion will die like a lamp for

want of what the flame should feed upon.
(Ihre Leidenschaft wird erlöschen wie eine

Lampe, deren Flamme keine Nahrung erhält.)
Scott, Braut von Lammermoor


Der heilende Freund muß sich wohl vor schlechten Gründen hüten, zum Beispiel darf er nie von Undankbarkeit reden. Man belebt die Kristallbildung wieder, wenn man ihr einen Sieg und eine neue Freude verschafft.

In der Liebe gibt es keine Undankbarkeit. Eine wirkliche Freude macht auch die scheinbar größten Opfer und noch weit mehr bezahlt. Es gibt nur ein Unrecht, Mangel an Offenheit. Man muß den Zustand seines Herzens richtig beurteilen.

Sobald der heilende Freund die Liebe in der Front angreift, antwortet der Liebende: „Lieben, und selbst unter dem Zorne der Geliebten, ist nichts anderes – um zu deinem Geschäftston herabzusteigen –, als ein Lotterielos besitzen, dessen Gewinst tausendfach über allem steht, was du mir bieten kannst in deiner Welt voll Gleichgiltigkeit und Eigennutz. Man muß sehr viel und sehr kleinliche Eitelkeit besitzen, um sich deshalb glücklich zu

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_132.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2018)