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der Rivale ein gewöhnlicher Mensch, so wird er uns für getröstet halten.

Oft ist es das Ratsamste, ohne mit der Wimper zu zucken, ruhig abzuwarten, bis der Nebenbuhler der Geliebten durch seine eigene Albernheit langweilig wird. Denn außer bei einer großen Leidenschaft, die allmählich und in früher Jugend entstanden ist, wird keine gescheite Frau einen gewöhnlichen Menschen lange lieben. Tritt die Eifersucht nach der völligen Hingabe ein, so muß noch scheinbare Gleichgiltigkeit oder tatsächliche Untreue dazutreten. Die meisten Frauen, die sich von einem immer noch geliebten Manne beleidigt fühlen, gehen dann zu dem Manne über, auf den jener vorher grundlos eifersüchtig war. So wird aus dem Spiele Ernst.[1]

Ich bin auf Einzelheiten eingegangen, weil man in solchen Augenblicken der Eifersucht sehr oft den Kopf verliert. Schon lange niedergeschriebene Ratschläge sind nützlich, und da es hauptsächlich auf äußerliche Ruhe ankommt, ist es angebracht, sie in philosophischem Ton zu geben.

Da man nur solange Gewalt über uns hat, als man uns die Hoffnung auf Dinge, die nur einen Leidenschaftswert haben, raubt oder läßt, so haben unsere Widersacher sofort keine Waffe mehr, wenn es uns gelingt, gleichgiltig zu scheinen.

Hat man nichts zu tun, was einen ablenkt, und will man sich eine Freude und eine Linderung verschaffen, so wird man viel Genuß beim Lesen des „Othello“ haben. Er wird uns an manchem irre machen, was uns bewiesen schien, und mit Entzücken werden unsere Augen bei der Stelle (III, 2) verweilen:


  1. [349] Wie in der Novelle „Le Curieux impertinent“ von Cervantes.
Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_107.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)