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größten Höflichkeit und der ruhigsten und einfachsten Miene sagen: „Mein Herr, ich weiß nicht, wie die Leute auf den Einfall kommen, mir die kleine So-und-so zuzuschreiben. Man hat sogar die Güte zu glauben, ich sei in sie verliebt. Wenn Sie sie haben wollen, trete ich sie Ihnen bereitwilligst ab; aber leider würde ich dabei eine sehr lächerliche Rolle spielen. In sechs Monaten geht es, wenn sie Ihnen dann noch gefallt. Heute aber verpflichtet mich die Ehre, die man, ich weiß selbst nicht warum, in dergleichen Dinge setzt, zu meinem lebhaften Bedauern, Ihnen zu sagen, daß, wenn Sie nicht die Gewogenheit haben zu warten, bis die Reihe an Sie kommt, unbedingt einer von uns beiden fallen muß.“

Der Rivale ist höchst wahrscheinlich kein leidenschaftlich verliebter Mann und vielleicht ein sehr vernünftiger Mensch, der diesen Standpunkt durchaus anerkennt und sich beeilen wird, einem die in Frage stehende Frau abzutreten, wenn er selbst nur einen halbwegs ehrenvollen Rückzug finden kann.

Man muß nur jene Erklärung in sorglosem Tone vorbringen und den ganzen Vorfall diskret behandeln.

Der Schmerz, den die Eifersucht verursacht, ist darum so nagend, weil die Eitelkeit ihn nicht ertragen hilft, und bei der eben genannten Methode findet ja gerade unsere Eitelkeit ihre Rechnung. Man kann sich immer noch für tapfer halten, wenn man sich auch nicht mehr für liebenswert halten darf.

Will man aber die ganze Sache nicht tragisch nehmen, so muß man verreisen und sich nicht allzufern mit irgend einer Tänzerin einlassen, deren Reize einen anscheinend auf der Durchreise gefesselt haben. Ist

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_106.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)