Seite:Ueber die Liebe 071.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


ihm zu sagen, er habe diese Gabe den Frauen abgesehen, und zwar den ehrbarsten unter ihnen. Diese weibliche Schelmerei ist eine grausame, aber gerechte Vergeltung für die Tyrannei der Männer.


27. Vom weiblichen Stolze

Die Frauen hören ihr ganzes Leben lang die Männer von angeblich wichtigen Dingen reden, von großem Geldgewinn, von Erfolgen im Kriege, von im Duell Gefallenen, von grausamen und bewunderungswürdigen Racheakten und von ähnlichen Dingen, die alle außerhalb der weiblichen Sphäre liegen.

Frauen, die eine stolze Seele haben, fühlen, daß sie diesen Dingen nichts entgegenzusetzen haben, worauf sie sehr stolz sein könnten. Sie fühlen, daß in ihrer Brust ein Herz schlägt, das durch die Kraft und den Stolz seiner Empfindungen ihrer ganzen Umgebung überlegen ist, und doch sehen sie, daß die nichtigsten Männer mehr Selbstgefühl haben, als sie. Sie merken, daß sie ihren Stolz nur in geringfügigen Dingen beweisen können oder doch nur in solchen, die nur einen Gefühlswert besitzen und über die kein Dritter richtet. Durch diesen kränkenden Gegensatz ihrer geringen Macht und ihrer stolzen Seele gequält, versuchen sie, ihre Schwäche durch die Lebhaftigkeit ihrer Äußerungen und durch die trotzige Hartnäckigkeit in der Durchführung ihrer Forderungen wettzumachen. Solche Frauen wähnen vor der völligen Hingabe, sobald sie ihren Geliebten erblicken, er führe etwas gegen sie im Schilde. Ihre Phantasie beunruhigt sich lebhaft über sein Vorgehen,

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_071.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)