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einen ungeduldigen Mut zum Wechselspiele des Lebens. Aus Überdruß an einem liebeleeren Leben und durch das Beispiel der anderen Frauen wider Willen bestochen, bildet sich die Seele einer Frau, die alle Ängste des Lebens überwunden hat und in dem traurigen Glück des Stolzes keine Befriedigung findet, unbewußt ein ideales Bild. Eines Tages begegnet sie einem Wesen, das diesem Bilde zu gleichen scheint. Sie merkt es an der Verwirrung ihres Heizens und weiht sich nun auf ewig dem so sehnsüchtig erträumten Herrn ihres Schicksals.

Die Frauen, die solchem Unglück verfallen, haben zu viel Seelengröße, um anders als aus Leidenschaft lieben zu können. Sie wären gerettet, wenn sie zur Liebe aus Galanterie herabsteigen könnten.

Da der Blitzschlag aus geheimem Überdruß an dem, was der Katechismus Tugend nennt, und aus der Langeweile entspringt, die durch die Eintönigkeit der Vollkommenheit entsteht, so neige ich zu der Ansicht, daß er am häufigsten solche Männer trifft, die man in der Gesellschaft als Taugenichtse bezeichnet. Ich zweifle sehr, ob der gestrenge Cato je von einem Blitzstrahle getroffen wurde.

Der Blitzstrahl ist darum etwas Seltenes, weil er nur dann eintritt, wenn das Herz, das so im voraus liebt, nicht die geringste Ahnung von seinem Zustande hat.

Eine durch Unglück mißtrauisch gewordene Frau ist zu einer solchen Revolution der Seele nicht fähig.

Nichts fördert Blitzschläge mehr, als das Lob, das eine Frau vorher und durch Frauenmund dem Manne zollen hört, den der Blitzstrahl treffen wird.


Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_050.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)