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Jemand sagt mir vielleicht, meine Geliebte sei prüde; ich werde ihm antworten, die seine sei ein Frauenzimmer.


4. Kapitel

In einer unberührten Seele, zum Beispiel der eines jungen Mädchens, das in einem einsamen Schlosse auf dem Lande lebt, kann die geringste Anteilnahme an einem Manne ein wenig Bewunderung zur Folge haben und, falls sich die leiseste Hoffnung dazugesellt, Liebe und Kristallbildung hervorrufen.

In diesem Falle ist die Liebe anfangs eine Art angenehmen Zeitvertreibs.

Die Anteilnahme und die Hoffnung werden durch das Liebesbedürfnis und die Schwermut, die man mit sechzehn Jahren hat, kräftig unterstützt. Wir wissen zur Genüge, daß die Unruhe dieses Alters aus dem Durst nach Liebe entspringt; und es ist die Eigenschaft des Durstes, die Güte eines zufällig dargebotenen Trankes nicht allzu wählerisch zu prüfen.

Wiederholen wir das bisher Gesagte, so haben wir folgende sieben Stufen der Liebe:

1. Bewunderung,

2. sinnliche Gedanken,

3. Hoffnung.

4. Erwachen der Liebe,

5. erste Kristallbildung,

6. Zweifel,

7. zweite Kristallbildung.


Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_012.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)