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sich ihnen stets anzupassen. Nimmt man dieser armseligen Liebe den äußeren Schein, so bleibt wahrlich recht wenig übrig; der Illusion beraubt, gleicht sie einem Kranken, der sich nur mühsam weiterschleppt.

Drittens: die Liebe aus Sinnlichkeit.

Auf der Jagd einem hübschen drallen Bauernmädchen nachlaufen, das in den Wald flüchtet. Jedermann kennt solche Liebesfreuden. Ein Charakter mag noch so hart und unglücklich sein, auf diese Weise fängt man mit sechzehn Jahren an.

Viertens: die Liebe aus Eitelkeit.

Bei weitem die meisten Männer, besonders in Frankreich, begehren und besitzen eine elegante Weltdame, wie man sich ein schönes Pferd hält, oder wie irgend einen zum Luxus eines jungen Mannes gehörigen Gegenstand. Die mehr oder weniger geschmeichelte oder gereizte Eitelkeit ist die Ursache ihrer Neigung. Manchmal mischt sich auch sinnliche Liebe hinein, aber nicht immer; oft fehlt sogar der körperliche Genuß. „Eine Herzogin ist in den Augen eines Bürgerlichen nie älter als dreißig Jahre“, sagte die Herzogin von Chaulnes. Und die Hofgesellschaft des trefflichen Königs Ludwig von Holland erinnert sich noch mit Vergnügen einer hübschen Dame im Haag, die nicht umhin konnte, jeden Herzog oder Prinzen liebenswert zu erachten. Sowie aber ein Prinz am Hofe erschien, fiel streng nach monarchischem Grundsatz der Herzog in Ungnade. Sie war gleichsam der Orden des diplomatischen Korps.

Im glücklichsten Falle gewinnt bei solchen oberflächlichen Beziehungen das sinnliche Vergnügen durch die Gewohnheit an Wert. Die Erinnerung umgibt

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_003.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)