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ihm. Ahnungen helfen nicht. Morgens früh, wenn du aufwachst, hält das Haus schon anderswo.“

„Ja – etwas Ähnliches habe ich doch wohl schon empfunden“, sagte er. „Man ist übrigens nicht sehr glücklich dabei.“

„Nein“, sagte ich. „Man ist nicht sehr glücklich dabei. Zum Schluß bleibt die etwas trübe Empfindung von einer Masse Eindrücke; es wäre ein herzhafter Spaß, wenn man den Zeitraffer anbringen könnte und das ganze Leben, das man zu führen verurteilt ist, donnerte mit einem Male herunter. Aber das war nicht zu machen.“

„Haben Sie sich sehr gesehnt, zu … hierher zu kommen?“ sagte er.

„Oft“, sagte ich. „Hunger habe ich alle meine Lebtage gehabt. Hunger nach Geld, dann: Hunger nach Frauen, dann, als das vorbei war: Hunger nach Stille. Oh, solchen Hunger nach Ruhe. Mehr: Hunger nach Vollendung. Nicht mehr müssen – nicht mehr durch die Zeit fahren müssen –.“

„Man geht spurlos dahin –“, sagte er. „Nein“, sagte ich. „Man geht nicht spurlos dahin. Ach, denken Sie nicht an Denkmäler – das ist ja lächerlich. Und ich weiß schon, was Sie jetzt sagen wollen: unsterbliche Werke. Ich bitte Sie … Nein, etwas anderes. Ich habe etwas dort gelassen, ja, ich habe etwas dort gelassen.“ „Was?“ sagte er, ein wenig ironisch.

„Ich habe den Dingen etwas gelassen“, sagte ich. „Seit jenem Tage, wo ich den greisen Klavierspieler in Paris wiedersah, den mein Vater zwanzig Jahre vorher in Köln gesehen hatte. Er spielte noch dieselben Stücke, der Wandervirtuose – noch genau dieselben. Und da war mir, als grüßte durch ihn mein toter Vater. Auch ich habe den Dingen etwas gesagt. Ich habe an vieles, was längere Dauer hat als ich und

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Kurt Tucholsky: Mit 5 PS. Ernst Rowohlt, Berlin 1928, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tucholsky_Mit_5_PS_301.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)