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wegen mit Glück- bzw. Segenswünschen. Wie wir ihn schätzen, mag daraus hervorgehen, daß am letzten Unterrichtstag auf seinem Klassenpult als Wahrzeichen etwas stand, das sein Wirken gewissermaßen symbolisierte: ein alter Darmstädter Armleuchter.[1]

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Herr Kasimir Edschmid wurde probeweise in meinem Etablissement als Coiffeur eingestellt. Seine einnehmenden Manieren, seine weitgereisten Handbewegungen sowie seine reichen Sprachkenntnisse (er spricht allein vier Sorten Französisch, darunter eine beinah richtig) erweckten die schönsten Hoffnungen. Leider mußte er hinausgetan werden, da seine Kenntnisse im Deutschen nicht genügten, so daß er sich mit der Kundschaft nicht verständigen konnte. Entweder man verstand ihn, wußte aber nicht, was er meinte – oder man wußte, was er meinte, verstand ihn aber nicht. Seine leichte Hand in Damenfrisuren wird mir stets in angenehmer Erinnerung bleiben.

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Herr Dr. Rudolf Breitscheid war verhältnismäßig treu, mitunter fleißig, auch ehrlich und immer etwas müde. Das Zeugnis, das er sich selbst ausstellt, kann nur ausgezeichnet genannt werden. Seine große Gedächtnisschwäche sowie seine mild verzeihende Art machen ihn besonders zu seinem schweren Beruf geeignet. Da es ein Kündigungsrecht bei seiner Firma nicht gibt, hat er alle Aussicht, noch recht lange Rayonchef zu bleiben. Herr Breitscheid, der nur ein Auge hat, genießt in den Kreisen der hiesigen Blindenanstalt das größte Ansehen. Als kleiner Nachteil könnte nur seine unselige Wettleidenschaft angeführt werden; sein ihm angeborener


  1. Kurt Tucholsky: Der Darmstädter Armleuchter. In: Das Lächeln der Mona Lisa, 1929; S. 200-217
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Kurt Tucholsky: Mit 5 PS. Ernst Rowohlt, Berlin 1928, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tucholsky_Mit_5_PS_244.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)