Seite:Tucholsky Mit 5 PS 115.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

auf Berufung haben, daß meist nach einer solchen Verhandlung Verdunkelungsgefahr nicht mehr besteht und daß mithin Haftentlassung zu erfolgen hat. Es ist vollständig gleichgültig, ob Herr Krönker durch Bestimmungen verpflichtet ist, die Angeklagten in dieser Weise zu belehren oder nicht: die einfachste richterliche Gewissenspflicht gebietet, Wehrlose über ihre Rechte aufzuklären.

Das Schöffengericht taugt schon nicht viel, weil die Siebung der Schöffen ganzen Volksschichten die bürgerlichen Ehrenrechte abspricht; du und ich, wir werden niemals Laienrichter werden. Was aber in diesem „Schnellgericht“ getrieben wird, geht denn doch noch über alles hinaus, was Moabit wagt. Es ist natürlich gleichgültig, ob ein von der kapitalistischen Gesellschaft zermürbter lungenkranker Mensch wegen Bettelns drei Wochen oder vier Wochen in Haft kommt: der Richter kann von sich aus die soziale Frage nicht lösen, auch er ist nur ein Vollstrecker. Aber es muß wohl verlangt werden, daß dieser Schnellrichter, daß die langsamen Richter in Moabit vor allem einmal die einfachsten Menschenrechte respektieren.

Auf keiner Tagung des Deutschen Richtervereins ist von den Schmerzen des Volkes etwas zu hören. Jedes Volk hat die Richter, die es verdient.

Empfohlene Zitierweise:
Kurt Tucholsky: Mit 5 PS. Berlin: Ernst Rowohlt, 1928, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tucholsky_Mit_5_PS_115.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)