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Spinnt eine Spinn’ ihr friedliches Gewebe.
Auch wein’ ich einwärts jetzt; denn als ich schlief,
Stahl man die Augen mir, und glühnde Kohlen
Hat man gefugt in meine Augenhöhlen.

1280
     Du Engel oben, du, von dem die Amme

Mir einst erzählte: daß du jede Thräne,
Die meinem Aug’ entflösse, sorgsam zähltest,
Du hast jetzt Feyerabend! Mühsam war
Dein Tagewerk, du armer Thränenzähler, –

1285
Hast du dich nie verzählt? und konntest du

Die großen Zahlen stets im Kopf’ behalten?
Du bist wohl müd’, und ich bin auch recht müd’,
Und auch mein Herz ist müd’ vom vielen Klopfen,
Und ausruhn wollen wir.
     (Er legt sich nieder, an einen Kastanienbaum gelehnt.)
Und ausruhn wollen wir. Ich bin recht müd’,

1290
Und krank, und kranker noch als krank, denn ach!

Die allerschlimmste Krankheit ist das Leben;
Und heilen kann sie nur der Tod. Das ist
Die bitterste Arz’ney, doch auch die letzte,
Und ist zu haben überall, und wohlfeil,

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Heinrich Heine: Tragödien nebst einem lyrischen Intermezzo. Dümmler, Berlin 1823, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tragoedien_nebst_einem_lyrischen_Intermezzo_212.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)