Seite:Tragoedien nebst einem lyrischen Intermezzo 198.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Und Münd’ge werden da zu Kinder wieder;

1030
In diesem Hause werden Arme reich,

Und Reiche werden selig in der Armuth;
In diesem Hause wird der Frohe traurig,
Und aufgeheitert wird da der Betrübte.
Denn selber als ein traurig, armes Kind

1035
Erschien die Liebe einst auf dieser Erde.

Ihr Lager war des Stalles enge Krippe,
Und gelbes Stroh war ihres Hauptes Kissen.
Und flüchten muste sie wie’n scheues Reh,
Von Dummheit und Gelehrsamkeit verfolgt.

1040
Für Geld verkauft, verrathen ward die Liebe,

Sie ward verhöhnt, gegeißelt und gekreuzigt; –
Doch von der Liebe sieben Todesseufzern,
Zersprangen jene sieben Eisenschlösser,
Die Satan vorgehängt der Himmelspforte,

1045
Und wie der Liebe sieben Wunden klafften,

Erschlossen sich auf’s neu’ die sieben Himmel,
Und zogen ein die Sünder und die Frommen.
Die Liebe war’s, die du geschaut als Leiche,
Im Mutterschooße jenes traur’gen Weibes.

Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Heine: Tragödien nebst einem lyrischen Intermezzo. Dümmler, Berlin 1823, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tragoedien_nebst_einem_lyrischen_Intermezzo_198.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)