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Ludwig Tieck: Das jüngste Gericht. In: Poetisches Journal, S. 221–246

erwecke. Wo will es hinaus? sagte ich zu mir selber. Die muntern Winde machten sich auf und zogen in ihrem frölichen Gange über die Flure und Gebirge, das Gras und Laub wurde grüner, eine holde Röthe färbte den Frühling höher und die Waldvöglein wußten sich mit ihren Stimmen nicht seltsam genug zu geberden. Indem ich noch im Verwundern war, fühlte ich ganz deutlich, wie es unter meinen Füßen wühlte und den Kern der Erde wie in tausend Pulsen schlug, die unterirdischen Gewässer stritten mit dem innwendigen Feuer und Erze und Steine strebten, die bevorstehende Geburt noch in sich zu verschließen und fest zu halten. Die Sonne stand hoch am Himmel und brannte verzehrend herunter, die saugte mit ihren Strahlen die Berge und Ströme an, und die Geister der Welt fühlten ihr ursprüngliches Schmachten nach der Sonne hinauf. Es geschah plötzlich, daß aus der ganzen Natur der Tod und die hemmenden Kräfte herausgenommen wurden, und nun schwang sich die Uhr mit allen ihren Rädern gewaltsam und reißend herum, die Ströme stürzten mächtig und unaufhaltsam die Thäler hinunter, die Felsenstücke trennten sich ab und wurden lebendig wie Blumen, die grünen Thäler hoben sich und sanken wechselnd nieder. Alle Schöpfungskräfte rannten

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Ludwig Tieck: Das jüngste Gericht. In: Poetisches Journal, S. 221–246. Frommann, Jena 1800, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tieck_Das_juengste_Gericht_1800.pdf/6&oldid=- (Version vom 22.12.2016)