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Ludwig Tieck: Das jüngste Gericht. In: Poetisches Journal, S. 221–246

zu zeigen, wie schaamhaft sie wären, denn alle waren nackt. Sie gaben mit ihrer ausgesuchten Tugend dem ganzen Himmel einen Anstoß und wollten durchaus unschuldig seyn, indem sie nichts unschuldig fanden, alles kränkte sie und war im Stande sie zu verführen, einige davon suchten, außer andern Theilen, auch ihre Seele mit den Händen zu verdecken, so außerordentlich schaamhaft waren sie. Die Teufel setzten ihnen mit groben Zoten sehr zu und so wie sie vor Schaam roth oder blaß wurden, leuchtete es um sie her, wie es vor einem Gewitter in den Wolken zu thun pflegt. Sie wurden alle ohne Ausnahme verdammt und klagten nur darüber, daß die Teufel, genau genommen, Männer wären und was man also im Himmel von ihnen Arges denken könnte. Andre sagten, es wäre ihnen lieb, wenigstens mit Flammen zugedeckt zu werden, denn in der Seligkeit würde ihre Keuschheit auf eine zu schlimme Probe gesetzt seyn. Darauf gingen sie mit vieler Decenz fort und mir war wieder frei zu Muthe, weil ich mich bis dahin geschämt hatte, ihre unanständige Schaam mit anzusehn.

Indem ich noch nachdachte, kam Jean Paul herbei gesprungen und sagte: ist es nicht zu arg, daß

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Ludwig Tieck: Das jüngste Gericht. In: Poetisches Journal, S. 221–246. Frommann, Jena 1800, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tieck_Das_juengste_Gericht_1800.pdf/18&oldid=- (Version vom 22.12.2016)