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Herrn Konrektor Draudt hat unser Haus je länger je mehr eine überaus wertvolle Stütze. Er ist jetzt in alles so eingelebt, auch in die finanzielle Verantwortlichkeit. Viel Not und Sorge hatten wir letzte Zeit wieder mit Stellenbesetzung. Das ist so schlimm, daß wir in der Tat eine ganz neue Weise ersinnen müssen, um, so weit das in unserer Macht liegt, zu helfen.

 Unsere gute Schwester M. B. nimmt zusehends an Körperkraft ab. Aber es ist so schön, wie ihr inwendiger Mensch ausreift. Neulich sagte Schwester Berta zu ihr: „Wie ist’s einem denn zu Mut so direkt vor den Pforten der Ewigkeit?“ Da antwortete sie: „Alles erscheint einem wie eine große Nebensache.“ – Ja, so ist’s.

 Es gäbe viel zu erzählen von hier, aber ich hab halt keine Zeit. Jetzt ist’s halb acht Uhr, und ich muß zu einer Stunde ins Magdalenium, die ich jede Woche einmal dort halte, und dann noch zu einer Besprechung mit Herrn Rektor etc. etc.

Grüße die lieben Schwestern. Deine Therese.


An Schwester Regine Meisinger.
Neuendettelsau, 4. Febr. 1889

 Liebe Schwester Regine, ich habe eben einen Brief vollendet, den ich allerdings nur im Gehorsam gegen Herrn Rektor geschrieben – an die „Töchter Dettelsaus“. Da hab ich’s versucht, ein wenig etwas von unserem eigentlichen Glück zu sagen. Es bekümmert mich, daß trotz aller Gnadenströme, die von der ewigen Liebe auf uns fließen, es doch so wenig wirklich glückliche Menschen gibt, wenigstens kommt es mir so vor. Ich glaube, es liegt das mit daran, daß wir die Hauptsachen nicht als Hauptsachen nehmen, ich meine die feststehenden ewigen Dinge, und daß wir hingegeben sind an die wechselnden, wandelbaren, untergeordneten Sachen, „wer nicht glücklich ist, ist nicht fromm“, hat unser seliger Herr Pfarrer so oft gesagt. Ich weiß schon, man kann sich’s nicht geben, und das Unglücksgefühl hat oft allerlei Ursachen, über die wir nicht immer Herr sind. Aber dennoch sollte mehr Glück unter uns sein. Nun vollends wir „Diakonissengeschöpfe“, wir sollten von Glück und Freude und Dank überströmen.

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Therese Stählin: Auf daß sie alle eins seien. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1958, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Auf_da%C3%9F_sie_alle_eins_seien.pdf/46&oldid=- (Version vom 5.7.2016)