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 „Man soll auch die kleinen Geschäfte Gott zu lieb tun“, hat Herr Pfarrer Löhe gesagt.

 Manchmal ist er auf dem Korridor beim Familienzimmer auf und ab gegangen, und wenn da jemand kam, der nicht fröhlich aussah, konnte er sagen: „Wer nicht glücklich ist, der ist nicht fromm.“

 Einmal ist er in die Stunde gekommen und hat gesagt: „Tu alles gleich!“ Das Wort begleitet mich durch mein Leben.

 „Helferinnen, denen geholfen wird“, so hat er uns wohl genannt.

 Wenn ich mir das Bild des seligen Hirten vorstelle, fällt mir oft das Wort ein: „Ein Mann mit königlichem Geist und mit barmherzigem Herzen.“ O er war so barmherzig gegenüber dem leiblichen und dem moralischen Elend!

 „Ja, bei Ihnen muß man nur einmal etwas Rechtes anstellen, dann hat man Sie zum Freunde“, hat Herr Dr. Laurent zu ihm gesagt.

 Daneben hat er uns so „nobel“ – oder wie soll ich’s nennen? – behandelt. Es war ihm nichts zu gut für uns. Er hätte gern alles mit uns getrieben, wenn es möglich gewesen wäre. Eine ganz durchgreifende Hebung des weiblichen Geschlechts, das wäre nach seinem Sinn gewesen.

 Er hat großartig regiert, zu großartig für die meisten von uns. „Ich muß jetzt ein anderes Regiment anfangen“, sagte er einmal zum Vorstand eines anderen Hauses. Dieser fragte mich später, ob die Änderung erfolgt sei. Als ob etwas, was mit der Eigenart eines solchen Mannes zusammenhing, sich schnell hätte ändern lassen! Das großartige Gelingen seiner Pläne und die schmerzliche Tragik seines Lebens, dies beides tritt einem entgegen, so oft man dieses Leben überschaut.

 Das hat Herr Pfarrer Löhe unserm Hause eingestiftet, daß die Schwestern die Verantwortung mittragen, wie ich so jung die Betsaalrechnung führte und kein Geld mehr hatte, sagte Herr Pfarrer zu mir: „Du meinst wohl, dir fliegen die gebratenen Tauben in den Mund?“

 Er sagte einmal, als ich allein bei ihm war: „Meine Frau hat mein bißchen Lebensglück mit ins Grab genommen, und meine Mutter meine Gesundheit.“


Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Auf daß sie alle eins seien. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1958, Seite 269. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Auf_da%C3%9F_sie_alle_eins_seien.pdf/271&oldid=- (Version vom 10.11.2016)