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 Heute ist unser lieber Herr Rektor Lauerer in Urlaub gegangen. Möchten ihm gesegnete, stille Tage beschert sein und er an Leib und Seele erquickt werden!

 Ich möchte Euch etliches an Eurem Einsegnungstag sagen, was Euch vielleicht für Euer Heiligungsleben von Nutzen sein kann: Laßt uns doch bei allem der Nähe der Ewigkeit eingedenk sein! Wie stark werden wir durch das viele Sterben unter uns dazu gemahnt, und wie muß dadurch alle falsche Betonung des Irdischen und Vergänglichen schwinden!

 Zum andern möchte ich Euch bitten, doch ja Eure eigentliche Charaktersünde kennen zu lernen. Wer sie nicht ins Auge faßt und nicht gegen sie ankämpft, steht in der Gefahr, daß die sündige Seite sich immer mehr verfestigt. Zuletzt wird sie unbesiegbar, die Mitmenschen fällen dann das Urteil: man muß sie gehen lassen, sie ändert sich nicht mehr – und man flüchtet sich dann in die Anschauung: sie ist abnorm geworden. Das ist etwas Schreckliches.

 Weiter: Achtet recht auf Euer Gebetsleben! Es ist etwas sehr Zartes und Feines um den ungestörten Gebetsverkehr mit Gott. Wenn Ihr etwas erbittet, was nach Gottes Willen ist, dann wartet auch auf die Erhörung Eures Gebetes.

 Gott behüte Euch alle und lasse Euch zunehmen im Glauben, in der Liebe, in der Geduld und Hoffnung!

Eure Therese.


An die Einsegnungsreihe vom 31. Juli 1910.
Neuendettelsau, 19. August 1919

 Meine lieben Schwestern, nun sind schon neun Jahre vergangen seit Eurem großen Tag. Da hielt Herr Rektor Eichhorn seine erste Einsegnung, und nun hat auch schon Herr Rektor Lauerer seine erste Einsegnung gehalten. Mir ist doch oft recht wehmütig ums Herz, weil alles so vergeht. Dennoch habe ich bei diesem Herzweh kein Unglücksgefühl. Könnt Ihr das verstehen, meine lieben Schwestern? Oder ist so etwas nur mit dem Alter verbunden?

 ...Es ist gegenwärtig besonders schwere, harte Zeit für unser Volk und für unsere Kirche. Aber es ist auch große Zeit, und wir sollen nur recht darauf bedacht sein, daß wir sie richtig

Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Auf daß sie alle eins seien. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1958, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Auf_da%C3%9F_sie_alle_eins_seien.pdf/238&oldid=- (Version vom 24.10.2016)