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und lebe von Gottes Gnade und bin froh, daß man mich im Himmel einmal nimmer Oberin heißt. Aber ich bin sehr getrost und freudigen Geistes, und Gott ist sehr gnädig und barmherzig.

 Früh morgens frühstücken wir um 61/4 Uhr; dann halten wir Morgenandacht; dann habe ich noch eine Weile in meiner Stube zu tun, und dann gehe ich regelmäßig hinaus in den Wald, um eine Weile allein zu sein und mich für alles, was kommt, zu stärken. Um 9 Uhr habe ich etlichemale den Diakonissenschülerinnen eine Stunde zu geben. Im übrigen stehen sie unter der Leitung von Schwester Berta Wieland, worüber ich sehr, sehr froh bin. Um 10 Uhr ungefähr kommt die Post und bringt die Einläufe. Da ist uns schon oft recht, recht bange gewesen, und ich bin immer froh, wenn die Post wenig bringt. Ich bin noch nicht stille und gelassen genug und fürchte mich noch zu viel vor schweren Nachrichten. Morgen sind es fünf Wochen, daß unser lieber Herr Rektor fort ist; ich bin sehr froh, daß die Zeit bald vorüber ist. Gott hat uns aber gnädig geholfen; Schwester Marie Regine Braun ist ja klug, wenn auch ich’s nicht bin. Wir arbeiten sehr freundlich und friedlich zusammen, überhaupt bin ich Gott sehr dankbar für unsere guten Schwestern, für die doch auch viel Takt und Selbstverleugnung bei der großen Veränderung nötig war. Schwere Dinge gibt es ja fast immer, und wenn ein Berg erstiegen ist, so steht dann gleich wieder ein neuer da; aber wir sollen nur auch kühnlich das Steigen lernen, wenn’s auch ein wenig Atemnot gibt. Gott hilft ja immer wieder durch.

 Wenn Herr Rektor da ist, kommt er gewöhnlich im Lauf des Vormittags, um die Einläufe zu besprechen. Oder es kommen auch sonst allerlei Leute, mit denen etwas zu verhandeln ist. Nachmittags bin ich immer mit den Ferienschwestern eine Stunde zusammen. Da lesen und betrachten wir etwas aus Gottes Wort. Die Ferienschwestern sollen möglichst viel Erquickung mit wegnehmen, um für den Beruf aufs neue gestärkt zu sein. Ich muß auch darauf bedacht sein, daß sie sonst ordentlich ausruhen, unsere Betten in gutem Stand sind etc.

 Mit Rechnen und Schreiben vergeht dann gewöhnlich der übrige Teil des Tages, oder ich habe im Feierabendhaus oder sonst wo zu tun...

Deine dankbare Therese.


Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Auf daß sie alle eins seien. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1958, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Auf_da%C3%9F_sie_alle_eins_seien.pdf/15&oldid=- (Version vom 1.8.2018)